Schnupper-Stunde: Roppongi Ripper - Teil 2

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Weiter geht es mit dem zweiten Teil der Leseprobe zum Japan-Krimi „Roppongi Ripper“ von Andreas Neuenkirchen. Es wird wieder spannend und dieses Mal bekommen wir es mit einem kühlen Kopf zu tun. Schnuppert doch mal rein. Auch in Teil 1, wenn ihr ihn noch nicht gesehen habt.

Inhalt

Der Kopf im Washlet

»Können wir jetzt wenigstens die Musik abstellen?«, fragte Assistant Inspector Shun Nakashima, als er gemeinsam mit Daisuke Kawase, dem Obersten Gerichtsmediziner des Tokyo Metropolitan Police Departments, den Tatort beging.
In ihren weißen Kapuzenanzügen aus sterilem Plastik, auf denen Kawase bestanden hatte, sahen sie aus wie Schneemänner. Insbesondere Nakashima mit seiner wuchtigen Figur und seinem weichen Gesicht.
Kawase funkelte ihn mit verkniffenem Blick an. Schwer zu sagen, ob es sich um seine übliche Verkniffenheit handelte, oder ob er immer noch unter Schmerzen von dem Messerstich in den Magen litt, den ihm der Yoyogi-Park-Mörder im Frühjahr verpasst hatte. Immerhin konnte er inzwischen wieder ohne Hilfsmittel und ohne Humpeln gehen. »Also gut, Nakashima. Schalten Sie die verdammte Musik aus.«
Nakashima beugte sich über das Armaturenbrett vom Washlet, der High-Tech-Toilette mit allerlei Zusatzfunktionen, und drückte den rosa Knopf mit der Note. Die süßliche Melodie, die einen makabren Kontrast zum Szenario in der Damentoilette des Crystal Bar Rooms bildete, brach ab.
»Endlich«, seufzte der Polizist. Als machte das Fehlen der Melodie, die dazu gedacht war, peinliche Geräusche bei der Toilettenbenutzung zu überspielen, diesen Ort in irgendeiner Weise erträglicher.
Sahen sie aus wie Schneemänner, so waren sie Schneemänner in der Hölle. Die weiß gefliesten Wände waren rot verschmiert. Der Körper der jungen Frau lag grotesk verwinkelt in einer dunklen Lache auf dem hellgrauen Marmorboden. Der abgetrennte Kopf in der Schüssel schaute mit weit aufgerissenen Augen nach oben, ohne je wieder etwas zu sehen.
»Der Kopf wurde bewusst so positioniert«, sagte Kawase. »Wäre er einfach gefallen, läge er mit dem Gesicht nach unten.«
»Natürlich.« Nakashima wollte sich ein Beispiel an dem älteren Kollegen nehmen, professionell sein, den Fall als Fall sehen, obwohl all seine Reflexe in diesem Moment auf Flucht ausgerichtet waren. Er stand kurz vor der Beförderung, das wusste jeder. Es war zu vermuten, dass er darum hierher zitiert worden war. Obwohl es bestimmt im örtlichen Polizeirevier von Azabu einen Kollegen gegeben hätte, der diesen unangenehmen Ort schneller erreicht hätte als Nakashima, dessen Schreibtisch im Hauptquartier vom Tokyo Metropolitan Police Department in Kasumigaseki stand. Er legte sich den blauen Mundschutz an, in erster Linie damit Kawase weniger von dem Ekel in seinem Gesicht sah. »Wie ... wie mag das geschehen sein? Wurde der Kopf abgeschnitten? Abgesägt? Das muss doch ewig dauern, und hier herrschte zur Tatzeit bestimmt reger Betrieb.«
»Der Kopf wurde abgeschlagen«, erklärte der Gerichtsmediziner.
»Abgeschlagen?«
»Mit einem Schwert. Einem ziemlich scharfen Schwert.« Er deutete auf die Spuren am Hals. »Würde ich wetten, was ich prinzipiell nicht tue, würde ich alles darauf setzen, dass wir entsprechende Metallpartikel an der Leiche finden.«
Ein dritter Mann betrat den Raum. Er verbeugte sich knapp vor Nakashima, der die Verbeugung etwas weniger knapp erwiderte. Beide murmelten die Begrüßungsformeln, die man austauschte, wenn man sich zum ersten Mal im Leben begegnete. Vor Kawase verbeugte er sich nachdrücklicher, was dieser knapp erwiderte. Das Alter des Neuankömmlings lag zwischen dem des jungen Assistant Inspectors und dem des älteren Leichenbeschauers. Er war groß und schlaksig und trug die gleiche sterile Montur wie seine beiden Kollegen. Seinen Einsatzkoffer stellte er nach einem kurzen Blick dort ab, wo kein Blut auf dem Boden verlaufen war. Sein schwarzes Haar trug er akkurat gescheitelt. Anders als Kawases Scheitel, der unter der weißen Kapuze verborgen war, war es nicht dafür gedacht, einen Mangel an Haupthaar zu kaschieren. Seine Augen schauten durch eine unmodische Brille mit dicken Gläsern. Dieses Gesicht schien wie geschaffen, um als Professorenporträtfoto in Universitätsbroschüren gedruckt zu werden. Tatsächlich war der dazugehörige Mann in erster Linie Universitätsprofessor. Aber nicht nur. Akio Maeda lehrte Kriminaltechnik an der Meiji-Universität und war ein Spezialist auf dem Gebiet der Spurensicherung bei der Tokioter Polizei. Manche fanden: der Spezialist auf dem Gebiet der Spurensicherung. Nakashima war ihm bereits das eine oder andere Mal über den Weg gelaufen, aber sie waren einander nie offiziell vorgestellt worden. Kawase schien ihn besser zu kennen. Kein Wunder, beide waren Koryphäen auf ihrem Gebiet.
Maedas Bewegungen, Blicke und Worte konzentrierten sich auf das Wesentliche. Das hatte er mit dem Gerichtsmediziner gemein. Was bei Letzterem allerdings schroff wirkte, mutete bei Maeda nur ein wenig weltentrückt an. Einer seiner ökonomisch eingesetzten Blicke fand den Lichtschalter links der Eingangstür. Ein Blick an die Decke. Die Neonbeleuchtung war eingeschaltet. Der Raum hatte keine Fenster. »Haben Sie die Lichtschalter betätigt?«, fragte er.
»Selbstverständlich nicht«, antwortete Nakashima. »Aber wir wissen nicht, ob jemand anderes es nach dem Mord getan hat – vor unserem Eintreffen.«
»Das ist richtig. Gehen wir davon aus, dass es nicht so war.« Das Opfer war schließlich gestorben, als im Club Hochbetrieb geherrscht hatte. Eine andere Lichtquelle als die elektrische gab es nicht. »Bei dieser Präzision kann der Täter nicht im Dunkeln gemordet haben.«
Nakashima fiel etwas ein. »Wir haben zwar den Lichtschalter nicht betätigt, aber ich habe den Ton abgestellt.«
Maeda legte die Stirn in Falten. »Welchen Ton?«
»Diese ... Damentoiletten-Melodie, Sie wissen schon.«
»Nein, weiß ich nicht.«
Nakashima versuchte, sich peinlich berührt im Nacken zu kratzen, was in seinem Kapuzenanzug schwierig war. »Ich glaube, das ist, um unangenehme Geräusche ...«
Maeda unterbrach ihn. Nicht barsch, aber doch ungeduldig. »Ich weiß, wofür der Ton gedacht ist. Ich meine: ich verstehe nicht, warum Sie ihn ausgeschaltet haben.« Übersetzung: Dies ist immerhin ein Tatort, an dem wir vorerst nichts verändern sollten.
Nakashima senkte den Blick. »Tut mir leid. Uns beiden ging die Melodie auf die Nerven.«
Kawase fügte hinzu: »Sie wiederholte sich. Nachdem wir sie mehrfach gehört haben, fand ich sie für die Beweisaufnahme nicht mehr relevant.«
»Aha.« Ein Blick zur Armatur des Washlets.
»Ich kann den Ton wieder einschalten, wenn Sie wollen«, bot Nakashima an.
»Danke, das mache ich selbst.« Maeda stieg über die Leiche, hin zu dem Knopf. »Sie haben hoffentlich Handschuhe benutzt?«
»Selbstverständlich.«
Mit seinem ebenfalls behandschuhten Finger drückte Maeda den Knopf. So weit an der Außenkante, wie es ihm möglich war. Die Melodie spielte erneut. Er kehrte mit behutsamen Schritten zurück auf seine Ausgangsposition in der Mitte des Raums. Ein Blick auf den Hals der Leiche, ein Blick auf den Kopf im Klosett. Acht ruckartige Blicke über den ganzen Tatort. Maeda unterteilte den rechteckigen Raum in gleichgroße Bereiche – zuerst nur im Geiste. Dann öffnete er seinen Koffer und markierte die Abschnitte mit gelben Schildern aus Metall, auf denen in Schwarz die Zahlen 1 bis 8 standen. Er nahm eine kleine Digitalkamera von Casio und fotografierte jeden Winkel ab. Die Kamera war türkis-metallic, was Assistant Inspector Nakashima als unpassend auffiel, wenngleich er sich nichts anmerken ließ. Das glaubte er zumindest. Ohne sich ihm zuzuwenden sagte Maeda entschuldigend: »Die Kamera ist ausgezeichnet. Ich wollte unbedingt dieses Modell, es war nur leider nicht mehr in Schwarz verfügbar.«
Nakashima erschrak, fühlte sich ertappt. »Macht ja nichts. Ist doch ... schön. Welche anderen Farben wären denn noch verfügbar gewesen?«
»Glauben Sie mir, das wollen Sie gar nicht wissen.«

Fazit!

Das war der zweite Teil der Leseprobe, allerdings warten in den nächsten zwei Wochen noch zwei weitere auf euch, also schaut auch nächste Woche wieder nach unserer Schnupper-Stunde.

 


Hier gibt es noch ein paar Daten:

Roppongi Ripper - Japan Krimi

Autor: Andreas Neuenkirchen
ISBN: 978-3-943176-87-2
Verlag: CONBOOK Verlag

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